DIE   INDISCHE   ASTROLOGIE

 

So wie wir die großen Weltreligionen unterscheiden, hat es auch in der Astrologie unterschiedliche Entwicklungen auf den diversen Kontinenten gegeben, was zu verschiedenen Strömungen geführt hat. Sie alle haben ihre Berechtigung, Ihre Unterscheidung liegt in der Gewichtung dessen, welchen Aspekt des Menschseins welche Bedeutung zugeordnet wird. So steht im Chinesischen Horoskop der Mondkalender im Vordergrund, weil der Mond stark mit der physischen Befindlichkeit des Menschen zu tun hat, und der chinesische Kulturkreis das persönliche physische und psychische Wohlbefinden gleichermaßen in den Vordergrund stellt. Die Indische Astrologie dagegen, welche auf den siderischen Zirkel gründet, hat den Focus auf die spirituelle, karmische Entwicklung des Individuums und Kollektivs gerichtet. Im Gegenzug zur westlichen Astrolologie, die sich auf den tropischen Zirkel beruft, und welche im Bereich der psychologischen Astrologie vor allem das Charakterbild und die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums deutet. Es besteht eine Wechselwirkungs zwischen der Zeitqualität des Kosmos und den Menschen. Je nach Fragestellung und Betrachtungspersepktive sind aus diesem Zusammenspiel zwischen Macro- und Microkosmos Rückschlüsse möglich. Hier nun wollen wir die wesentlichen Elemente der indischen Astrologie kennenlernen, viel Freude bei dieser astrologischen Horizonterweiterung wünscht Ihnen,

Ihre Astrid*
 

Die Wurzeln dieser uralten Weisheitsschule sind in der prähistorischen Welt der Indus-Kultur im vierten Jahrtausend v. Chr. zu finden. Dort nämlich entstand die Astrologie als Kalenderwissenschaft. Sie wurde sodann in den Hochkulturen Mesopotamiens weiterentwickelt und fand von dort aus später über Ägypten und Griechenland ihren Weg in den Westen.
Ohne Zweifel hat die Bedeutung der Sternzeichen also eine jahrtausendealte Tradition. In den Auslegungen sind die Erfahrungen vieler Generationen noch heute lebendig. Ihnen zufolge hat der Stand der Gestirne auf das Schicksal und auf den Charakter der Menschen, die in einem bestimmten Zeitabschnitt geboren sind oder werden, Einfluss. In Indien wird dies niemand bezweifeln.
Von den vermeintlichen Anfängen von Astronomie und Astrologie im Kontext der prähistorischen Indus-Kultur fanden Sternkunde und Sterndeutung ab dem dritten Jahrtausend v. Ch. über Mesopotamien im ganzen vorderen Orient eine schnelle Verbreitung. Viele Völker der Antike übernahmen schließlich Teile des zur Astralreligion weiterentwickelten Sternkults von den Altbabyloniern. Die wichtigsten Götter der Griechen oder Römer waren ja Sternen- Planetengötter. Sie deuteten die alte babylonische Astralreligion natürlich um. Damit werden zum einen der synkretistische Zug aller antiken Religionen und zum anderen die Parallelen in den Astrologien des Ostens und des Westens verständlich.
 
Der entscheidende Unterschied zwischen unserem westlichen und dem indischen Astro-System besteht in der Anwendung zweier verschiedener Sternkreise als Grundlagen des Horoskops: dem SIDERISCHEN ZIRKEL  der indischen Schule und dem TROPISCHEN ZIRKEL  der westlichen Schule. Indiens Astrologie erweist sich als „geistig wertvolles Werkzeug“ nicht nur in der psychologischen Persönlichkeitsanalyse (wobei auch diese ihre Rechtfertigung aus westlicher Sicht in der karmischen Ausrichtung findet), sondern vor allem hinsichtlich der spirituellen Entwicklung eines Menschen und im Zusammenhang mit der Karma-Lehre.
 
Was unterscheidet also den siderischen und den tropischen Zirkel voneinander – dies zu begreifen bedeutet auch die beiden unterschiedlichen Philosophien Indiens und des Westens zu erfassen:
Die Sumerer (sie waren es welche den Wissenstransfer von der Zivilisation am Indus nach Mesopotamien mittels Keilschrifttafeln überlieferten) wussten bereits um die Präzession der Fixsterne welche sich relativ zu den Äquinoktien verhalten.
Zur Erklärung des Phänomens: Die scheinbare Sonnenbahn (von der Erde aus beobachtet) wird Ekliptik genannt. Weil nun die Rotationsachse der Erde in einem Winkel von 23 ½ Grad zum Himmelsäquator steht, hat sie mit ihm zwei Schnittpunkte. Stünde die Rotationsachse der Erde senkrecht zur Bahn der Erde um die Sonne, dann würde sich die Sonne, von der Erde aus betrachtet, nur auf einer Linie beziehungsweise Ebene entlang des Äquators bewegen. Die Schiefe der Ekliptik bedingt die vier Jahreszeiten, astronomisch gekennzeichnet durch die vier Kardinalpunkte: den Frühlingspunkt, die Sommerwende, den Herbstpunkt und die Wintersonnwende. Frühlings- und Herbstpunkt markieren den Stand der Sonne an der Hemisphäre zum Frühlings- beziehungsweise zum Herbstanfang, wenn Tag und Nacht jeweils gleich lang sind. Es handelt sich dabei um die beiden Bahnschnittpunkte, die auch als ÄQUINOKTIEN, also Tagundnachtgleichen, bezeichnet werden. Die Sonnenwendpunkte markieren den Stand der Sonne an der Hemisphäre zum Sommer- beziehungsweise zum Winteranfang. Zum Sommeranfang ist der Tag am längsten und die Nacht am kürzesten. Zum Winteranfang ist der Tag am kürzesten und die Nacht am längsten.
Nun kann man über längere Zeiträume beobachten, dass sich die Lage der Fixsterne relativ zu diesen Kardinalpunkten allmählich verändert. Die Äquinoktien lassen sich nämlich jedes Jahr vor einem anderen Punkt am Fixsternhimmel abbilden, mit anderen Worten zur Zeit der Tagundnachtgleichen sind die Fixsterne und damit die Sternbilder am Firmament im Vergleich zum Vorjahr ein kleines Stück vorangeschritten. Daher spricht man von PRÄZESSION.
Diese Verschiebung der Tagundnachtgleichen vor dem Fixsternhimmel beträgt rund ein Grad in 72 Jahren, das heißt, dass der Frühlings- und Herbstpunkt in 72 Jahren jeweils um etwa einen Grad gegenüber dem Fixsternhimmel zurückbleiben und sich damit gegen den Uhrzeigersinn langsam durch den gesamten Sternkreis bewegen. Damit wandern die Äquinoktien in 30 mal 72 Jahren, also in 2160 Jahren, um 30 Grad zurück und in 25 920 Jahren um 360 Grad, also einmal durch den ganzen Sternkreis. Anders ausgedrückt verspäten sich von der Erde aus besehen die Auf- und Untergänge der Sterne in 72 Jahren um etwa einen Tag.
 
Aus ihrer jahrtausedealten Geschichte heraus arbeitet die traditionelle Astrologie in Anlehnung an die Astronomie mit definierten Sternbildern. In der indischen Sterndeutung hat sich dieses so genannte siderische Prinzip – siderisch heißt ‚auf die Sterne bezogen’ – bis heute erhalten. Die indische Astrologie bezieht sich dabei auf die Sternbilder des Zodiaks, bzw. dem möglichst astronomisch realen Stand er Sonne im jeweiligen Tierkreiszeichen. Wenn die Datierung der indischen Sternbilder der Vereinfachung wegen auch ‚idealisiert’ wurden, so lehnen sich ihre Daten dennoch sehr an die astronomisch realen Daten an:
 
WIDDER: tropisch: 21.03. – 20.04. (31 Tage), astronomisch: 18.04. – 13.05. (26 Tage), siderisch: 13.04. – 13.05. (31 Tage);
 
STIER: tropisch: 21.04. – 20.05. (30 Tage), astronomisch: 14.05. – 20.06. (38 Tage), siderisch: 14.05 – 14.06. (32 Tage);
 
ZWILLINGE: tropisch: 21.05. – 21.06. (32 Tage), astronomisch: 21.06. – 19.07. (29 Tage), siderisch: 15.06. – 15.07. (31 Tage);
 
KREBS: tropisch: 22.06. – 22.07. (31 Tage), astronomisch: 20.07. – 09.08. (21 Tage), siderisch: 16.07. – 15.08. (31 Tage);
 
LÖWE: tropisch: 23.07. – 23.08. (32 Tage), astronomisch: 10.08. – 15.09. (37 Tage), siderisch: 16.08. – 15.09. (31 Tage);
 
JUNGFRAU: tropisch: 24.08. – 23.09. (31 Tage), astronomisch: 16.09. – 30.10. (45 Tage), siderisch: 16.09. – 16.10. (31 Tage);
 
WAAGE: tropisch: 24.09. – 23.10. (30 Tage), astronomisch: 31.10. – 22.11. (23 Tage), siderisch: 17.10. – 15.11. (30 Tage)
 
SKORPION: tropisch: 24.10. – 22.11. (30 Tage), astronomisch: 23.11. – 17.12. (25 Tage), siderisch: 16.11. – 14.12. (29 Tage);
 
SCHÜTZE: tropisch: 23.11. – 21.12. (29 Tage), astronomisch: 18.12. – 18.01. (32 Tage), siderisch: 15.12. – 19.01. (30 Tage);
 
STEINBOCK: tropisch: 22.12. – 20.01. (31 Tage), astronomisch: 19.01. – 15.02. (28 Tage), siderisch: 20.01. – 11.02 (30 Tage);
 
WASSERMANN: tropisch: 21.01. – 19.02. (30 Tage), astronomisch: 16.02. – 11.03. (24 Tage), siderisch: 12.02. – 13.03. (30 Tage);
 
FISCHE: tropisch: 20.02. – 20.03. (29 Tage), astronomisch: 12.03. – 17.04. (37 Tage), siderisch: 14.03. – 12.04. (30 Tage);
 
(Vom 29.11. bis 17.12. schiebt sich heute in der Astronomie per definitionem das Sternbild Schlangenträger in den Skorpion. Dies hat noch in keinem astrologischen System einen Niederschlag gefunden.)
 
 
INDISCHE STERNZEICHEN
 
 
WIDDER=Mesa, indische Gottheit: AGNI, 13.04. – 13.05.
 
STIER=Vrishaba, indische Gottheit: NANDI, 14.05. – 14.06.
 
ZWILLINGE=Mithuna, indische Gottheit: VISHNU, 15.06. – 15.07.
 
KREBS=Karkataka, indische Gottheit: PARVATI, 16.07. – 15.08.
 
LÖWE=Simha, indische Gottheit: BRAHMA, 16.08. – 15.09.
 
JUNGFRAU=Kanya, indische Gottheit: GANESHA, 16.09. – 16.10.
 
WAAGE=Tula, indische Gottheit: LAKSHMI, 17.10. – 15.11.
 
SKORPION=Vrischika, indische Gottheit: YAMA, 16.11. – 14.12.
 
SCHÜTZE=Dhanus, indische Gottheit: INDRA, 15.12. – 19.01.
 
STEINBOCK=Makara, indische Gottheit: SHIVA, 20.01. – 11.02.
 
WASSERMANN=Kumbha, indische Gottheit: GARUDA, 12.02. – 13.03.
 
FISCHE=Mina, indische Gottheit: GANGA und YAMUNA, 14.03. – 12.04.
 
 
 
Die tropische Astrologie – tropische heißt auf den Äquator der Erde bezogen – weicht dagegen von den astronomischen realen Sternzeichen erheblich ab. Sie teilt den Sternkreis in zwölf gleich große Abschnitte zu je 30 Grad ein, beginnend am Frühlingspunkt, also mit der Tagundnachtgleiche im Frühjahr.
 
Der berühmte Mathematiker, Astronom und Geograf CLAUDIUS PTOLOMÄUS entwickelte wohl, wahrscheinlich um das Jahr 140 n. Chr., im antiken Alexandria das tropische System, das von den westlichen Astrologen für ihre Berechnungen von Horoskopen heute hauptsächlich herangezogen wird. Als er an einem bestimmten Tag – so ist es überliefert – die Sonne am ersten Grad Widder auftauchen sah, markierte er diesen Grad als Beginn des Zodiaks. Zu jener Zeit fügte es sich, dass sozusagen Sternbilder und Sternzeichen übereinstimmten, beziehungsweise deckte sich damals der tropische Sternkreis mit dem siderischen Kreis. Also schrieben die nunmehr nach dem tropischen Prinzip arbeitenden Astrologen schließlich den 21. März als Widderanfang fest.
 
Der tropische Sternkreis beginnt seither bei 0 Grad Widder jedes Jahr am 21. März. Dann zieht die Sonne durch den ersten Abschnitt ihrer Jahresbahn. Dieser hat nichts mit dem Sternbild Widder zu tun, sondern umfasst einfach die ersten 30 Grad des Sternkreises, weil die tropische Astrologie die Präzession der Fixsternbilder nicht berücksichtigt. Das TROPISCHE SYSTEM  ist ein GEOZENTRISCHES d.h. AUF DIE ERDE BEZOGENES  System, welche von der JAHRESZEITLICHEN PRÄGUNG  und nicht von der Prägung der Sonne im astronomischen Fixsternbild ausgeht.
 
Die Sonne taucht an jedem 21. März immer etwas versetzt an jenem Punkt vor dem Fixsternhimmel auf, an dem sie im Vorjahr zu dieser Zeit erschienen war. Also befindet sich jedes Jahr im ersten Abschnitt Widder der tropischen Einteilung eine andere Sternkonstellation. Anders gesagt, in der tropischen Astrologie ist es gleichgültig, welche Sterne oder welches Sternbild sich gerade in dem fraglichen Abschnitt befinden, jemals befinden werden oder erstmal befunden haben. Zum Beispiel steht die Sonne am 21. März heute rund 23 Grad entfernt von dem mutmaßlichen ptolemäischen Widderanfang (das Datum ändert natürlich nichts am Frühlingsanfang, jedoch ist siderisch gesehen die Bezeichnung „Widderanfang“ nicht korrekt, tropisch gesehen steht „Widderanfang“ symbolisch für Frühling, auch wenn die Sonne nicht oder nicht mehr im Sternenbild Widder steht), also beinahe ein ganzes Zeichen weiter – und die Abweichungen werden von Jahr zu Jahr größer. Die tropische Astrologie betrachtet demnach die Stellung der Sonne zu einer bestimmten Jahreszeit, nicht die Stellung der Sonne vor einem bestimmten Sternbild im Himmel. Die Jahreszeit ist es also, die nach der tropisch-astrologischen Auffassung bei der Geburt einen Menschen beeinflusst.
 
(Vergleicht man die Archetypen der indischen Gottheiten und jene des westlichen Tierkreiszeichens, so decken sich die psychologischen Parallelen der jeweiligen Zeichen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die Verschiebung des zugehörigen Sternbildes einer Person aufgrund der siderischen Tabelle, z.B. aus einem westlichen Zwilling ein indischer Stier wird, diese Person sich wohl im indischen wie im westlichen Zwilling bzw. Vishnu wieder findet, nicht aber im indischen Stier bzw. Nandi oder eben im westlichen Stier. Daher scheint die jahreszeitliche Ausrichtung der westlichen Astrologie bestätigt, einen Menschen seinem Wesen nach individuell zu erfassen. Daneben werden in der westlichen Astrologie den einzelnen Planetenstellungen zusätzlich große Beachtung entgegengebracht.)
 
 
Die indischen Gottheiten selbst, wie wir es ebenso in unseren westlichen Tierkreiszeichen wieder finden, stellen die so genannten Archetypen dar. Demnach sind die zwölf Sternzeichen des siderischen wie auch des tropischen Zodiaks die Strukturbilder von zwölf Idealtypen. Natürlich geht es auch in der indischen Astrologie meist darum, ein individuelles Horoskop zu erstellen, in dem die einzelnen Facetten eines jeden ersichtlich werden. So kennt auch die indische Astrologie den Aszendenten, jene Energie mit welche wir in die Welt eintreten, und die Gestirnkonstellationen. Betrachtet wird dabei in allererster Linie die Nativität, also das Horoskop zum Zeitpunkt der Geburt. Die Gestirnkonstellation, die sich zu Beginn des selbstständigen Lebens, das heißt mit dem ersten Schrei nach der Durchtrennung der Nabelschnur, am Himmel befindet, bildet dabei die astronomisch-mathematische Basis zur Berechung der Nativität. Nach klassischer indischer Lehre sind die Sonne, der Aszendent und der Mond die wichtigsten Faktoren, die den individuellen Lebensweg beeinflussen.
 
Schicksal oder Karma ist nach indischer Auffassung weder Prädestination noch Zufall, sondern sehr viel mehr das Ergebnis des Zusammenspiels von charakterlichen Anlagen und Verhaltensweisen bei einem Individuum. Also wird kein indischer Astrologe (wie auch kein westlicher Astrologe) je behaupten, dass das Schicksal eines Menschen vorherbestimmt sei. Jedes Zeichen hat seine guten und schlechten Seiten, jede Charaktereigenschaft kann sich positiv und negativ auswirken. Es kommt darauf an, was der Einzelne daraus macht. Dieselben Voraussetzungen nämlich, die den einen zu Ruhm und Ehre bringen können, können den anderen zu Grunde richten. Niemand aber ist besser oder schlechter – nur anders!
 
Diese Übersicht zur indischen Astrologie dient dazu, astrologische Kenntnisse, Auffassung und Hintergründe zu erläutern, sowie einen Vergleich mit der westlichen Astrologie anzustellen. Um Einblick in der psychologischen Auslegung der einzelnen indischen astrologischen Archetypen bzw. Gottheiten zu erhalten, ist der Interessierte aufgefordert, bei entsprechenden Lektüren Einsicht zu nehmen.