5. Kapitel: DAS WELTEN-HOROSKOP

Die Begegnung von Pantheismus und Monotheismus

 

Was Leonardo da Vinci mit seinem Letzten-Abendmahl-Bild auf höchstem Niveau künstlerisch genial auszudrücken vermochte, veranschaulicht diese Grafik plastisch. Man kann mit den wesentlichen Elementen des Neuen Testaments, wobei die zwölf Apostel austauschbar sind mit den Zwölf Stämmen Israels und zwölf Söhnen Jakobs des Alten Testaments, also mit den Grundpfeilern der Bibel eine Art „Welten-Horoskop“ erstellen. Wobei die Zwölfergruppierung außen herum die Menschheit selbst darstellt (wir erinnern uns, die zwölf Tierkreiszeichen stehen für die Archetypen der gesamten Möglichkeiten des Menschseins). Und Jesu/Gott, das dreizehnte Prinzip, für das Zentrum des Seins steht (im persönlichen Horoskop die Seele in der Mitte des Horoskops, außen die Anlagen). Zwischen Gott (innen) und Mensch (außen) steht der Geist (Dreifaltigkeit) als Verbindung und in ihrer Wechselwirkung geschieht Schöpfung. Ähnlich wie wir unsere Anlagen nützen, unsere Seele/göttlichen Impuls schöpferisch auszudrücken.

Daher hat jeder Mensch in Gott seinen individuellen Werdegang, und gleichzeitig läuft eine evolutionäre Menschheitsgeschichte (Zeitalter, gegenwärtig Wassermann/Löwe-Achse). Ziel des christlichen Weges ist das Leben in der in Christus vorgezeichneten Einheit von Logos und Kosmos: die Verwandlung, die Neugestaltung des Kosmos durch den Logos. Der Ort dieser Neugestaltung ist der Mensch: seine Wiedergeburt im Heiligen Geist.

Hier schließt sich der Kreis; Wie das Atom dem Universum gleicht und sich Makro- und Mikrokosmos einander bedingen, sind Mensch, Menschheit eingeschlossen in einem Verbund mit Gott. Jesus (Fischezeitalter = Neptun = All-Liebe/Nächstenliebe/himmlische Liebe) lehrte die Menschen vor allem, dass Gott sie liebt und das sie einander lieben sollen. Insofern gibt es nur Liebe und Licht, das Böse wie Schatten und Dunkelheit sind nur die Abwesenheit von Licht und Liebe, aber für sich – im Unterschied zu Gott/Licht/Liebe – nicht existent. So wie wir in unserer Seele immer vollständig sind und uns dort in Geborgenheit zurückziehen können, gleich welche Stürme „draußen“ (Anlagen plus Lebensprozess/Transite) vorherrschen, sind wir es in gleichsam in Gott - den wir in diesem Sinne in uns tragen. Und diese Qualität ist es auch, die alle Menschen gleich, gleich wertvoll und gleich wichtig macht. Wie mehr es dem einzelnen Menschen gelingt, aktiv mit dieser Gottesgegenwart Beziehung aufzunehmen, je erfüllter wird er es vermögen sie als „liebvolle, zwischenmenschliche Beziehungen“ zu leben. Jener steter Schöpfungsakt, durch die sich Gott auf Erden manifestiert und was die Dynamik dieses Welten-Horoskops aussagen will.

In der Wahrnehmung Gott als Präsenz in der Schöpfung (Pantheismus, „die Auffassung Gott sei eins mit dem Kosmos und der Natur, und damit auch im inneren des Menschen zu finden“ - Wikipedia) und als autonome Autorität außerhalb dieser (Monotheismus, „Gott als wirklich wesentlich und von der Welt verschieden verkünden“ – 1. Vatikanisches Konzil 1870) liegt also kein Widerspruch, wie die Astrologie in letzter Konsequenz aufzuzeigen vermag. Beide Sichtweisen finden im astrologischen Kontext Ergänzung.

Der gläubige Mensch sieht sich also in eine Welt hineingestellt, in der Gottes schöpferische Weisheit alles nach Maß und Zahl geordnet hat, allem seinen Ort und seine Bahn zugewiesen hat: „Machtvoll entfaltet sich ihre Kraft von einem Ende zum anderen und durchwaltet voll Güte das All“ (Weish 8,1). So sind Tierkreisdarstellungen in jüdischen Synagogen und christlichen Kirchen Ausdruck der gläubigen Hoffnung, dass Gott der Herr der Geschichte ist. Seine Liebe hat jedem Menschen eine bestimmte „Konstellation“ von Fähigkeiten und Gefährdungen mit auf den Weg gegeben und ihn dadurch in Spannungen und Grenzen hineingestellt, mit denen er fertig werden muss, um die darin zugleich auch vorgezeichneten Möglichkeiten des Lebens ergreifen zu können – dies im Erkennen, dass es in der Natur einen „Hintergrund von Freiheit und Sinnhaftigkeit“ gibt, wie C. G. Jung die Wechselwirkung zwischen persönlicher Willenskraft und potentiellen Anlagen beschreibt. Sokrates (470 – 399 v. Chr.), der als Philosoph das gesamte abendländische Denken mitprägte, wie sein berühmtester Schüler Platon (427 – 347 v. Chr.), sprachen in diesem Zusammenhang von den Urbildern (Archetypen = Tierkreiszeichen) als wahre Wirklichkeit und Abbilder (Ausdruck des Menschen und der Schöpfung) als Scheinwelt. Sowie von der großen Idee (Gott), dem Reich der Seele als Urheber der Urbilder und der Erkenntnis beider Bereiche durch die Vernunft (Geist). Von ihnen stammt auch die philosophische Einsicht, dass die Kluft zwischen der Ideen- und Schweinwelt von der Ideenwelt aus überwunden werden kann und nicht umgekehrt. Und es gilt durch Einsicht in der Ideenwelt die Scheinwelt (Materie, Triebe) im Sinne guter Handlungen zu beherrschen.

 

Meditationsbild – Horoskop

Die Astrologie erhebt nicht den Anspruch, den Menschen ganz und im letzten Geheimnis einer Person erfassen zu können. Sie ist aber davon überzeugt und sieht sich aufgrund ältester wie auch immer wieder neuer Erfahrungen darin bestätigt: Die Planetenkonstellationen zur Zeit der Geburt eines Menschen, oder auf mundaner Ebene am Beispiel des Welten-Horoskops, wie sie im Medium des Mythos erfasst werden kann, hat in diesem Menschen ebenso wie in der Menschheit seine strukturelle Entsprechung; Beim Menschen in den unbewussten Tiefenschichten seines Denkens, Wollens und Fühlens wie in seiner Leiblichkeit. Darum spiegeln sich in seinem Horoskop die Vorstellungs- und Reaktionsmuster wider, die für ihn – aufgrund der vorgegebenen Anlagen und nicht nur aufgrund seiner Lebensgesichte, seines Milieus – typisch und sozusagen selbstverständlich sind. Wie sich im Rahmen dieser strukturellen Prägung aufgrund der vielfältigen erblich und biographisch bedingten Einflüsse und bewussten Willensentscheidungen das Leben konkret entfaltet, das entzieht sich astrologischer Diagnose. So lässt sich auch nicht vorhersagen, wie der Mensch innerhalb der ihm gesetzten Grenzen seine Möglichkeiten ergreift. Diese zu erkennen, kann das persönliche Horoskop (Radix) jedoch eine Hilfe sein. Ebenso hat das Welten-Horoskop seinen Wert als Meditationsbild. Es kann dem Menschen helfen, sich selbst auf seinem persönlichen Weg im Großen und Ganzen besser zu begreifen und vor allem SINN auf diesem Weg zu finden. Sinn, motiviert zu sein die ureigenen Möglichkeiten zu nutzen, wie sich auch den Schwierigkeiten zu stellen, die es zu bewältigen gilt. Denn Astrologie setzt voraus, dass in allem Geschehen der Welt ein Sinn waltet, dass die Welt ein nicht nur materielles, sondern mehr noch ein geistiges Kontinuum ist, mag man es nun „beseelt“ oder „göttlich“ nennen.

 

Das Weltenhoroskop in klassischer Darstellung

Doch ist es nicht allein Leonardo da Vinci, welcher die schriftlichen Bibelüberlieferung in ihrer tieferen archetypischen Symbolik darstellte. Man findet viele Beispiele in Kirchen auf der ganzen Welt. Stellvertretend hierfür sei ein Fresko-Bild der „Nativity Church“ in Arbanasi/Bulgarien, welches besonders deutlich Jesus in der Mitte der Menschenfamilie zeigt, sei es in der Tierkreiszeichen-Symbolik wie in der Symbolik seiner geschichtlichen Gefolgschaft. Sozusagen ist es das künstlerische Pondon zur Weltenhoroskop-Grafik oben. In derselben Kirche ist auch ein schönes Lebensrad eingebettet im Kreislauf der Tierkreiszeichen zu bewundern:

 

http://travelinbulgaria.eu/gallery/tour/images_big/gallery_picture_0253866001262695044.jpg

 

http://ic2.pbase.com/g1/60/645360/2/126420697.gQUWBXz1.jpg

 

Die Quinta Essentia

Oben im Weltenhoroskop sind die horizontale Achse Aszendent/Deszendent und die vertikale Achse Imum Coeli/Medium Coeli als fetter gedruckte Linien im Kreuzeichen gut zu erkennen. In der psychologischen Astrologie unterteilen diese beiden Achsen bzw. vier Kardinalpunkte die zwölf Felder in vier Quadranten (Körper-, Wesens-, Geistes-/Begegnungs- und Bestimmungsquadranten) und in eine Tag- und Nachtseite. Die vertikale Linie oben/unten weist Richtung Himmel auf das Geistige hin (Ewigkeit/Sein). Die horizontale Linie links/rechts hingegen auf die Erde, die materielle Welt (Zeit als vergängliches Prinzip).

Die Urchristen hatten ursprünglich das Fischezeichen zum Symbol, einige Jahrhunderte später löste aber das Kreuzzeichen das Fische-Symbol ab. Jesu leitete das zweitausend Jahre anhaltende Fischezeitalter ein. Das Fische-Prinzip steht für Erlösung, All-Liebe, Nächstenliebe, Spiritualität in seiner ideellen Form (auch geistige Umnachtung, Angst, Unsicherheit, Flucht in seiner Schattenseite). Sein Herrscher ist Neptun, daher wird Jesu auch als neptunischer Meister bezeichnet. Dieser Bezug ging mit zunehmender Institutionalisierung der Christen als Kirche verloren zugunsten des Kreuzeichens. Jesus ist „am Kreuz“ für uns gestorben, das Kreuz steht für alles was der Mensch zu überwinden hat um der Erlösung nachfolgen zu können, bevor er aufersteht. Jeder Mensch hat symbolisch „sein Kreuz“ zu tragen, in ihm sind alle weltlichen Mühen, „Gut und Böse“ versinnbildlicht. Diese vier Endpunkte nun werden mit einem äußeren Kreis verbunden, welcher gleich der oberen Grafik innen dem Prinzip Gott entspricht (Gottespräsenz im Innen und Außen). Der äußere Kreis steht für Verbindung mit und durch ein größeres, sinngebendes Ganzes und wird in dieser Vollendung der Gesamtheit als „quinta essentia“ bzw. die Quintessenz  bezeichnet (aus dem Lateinischen: „fünftes Seiendes“, „das Wesentliche“, das Hauptsächliche“, „das Wichtigste“).

 

Ein anderes Beispiel christlicher Darstellung der Verbindung zwischen Gott, Mensch und Gestirne als archetypische Transformationsthemen ist diese Darstellung aus Herrad, Hortus delicarum, im 12. Jahrhundert:

 

Das Ich (Jesus/Seele/göttliches Sonnenprinzip-Mitte im Horoskop) ist an das Kreuz der Materie (Holzkreuz, 4 Elemente, Anlagen im Radix) gebunden. Das "Fischmonster" steht für die Zeit. Die sieben Heiligenbilder repräsentieren die sieben Planeten und ihre Entwicklungsstufen, welcher jeder Mensch für seine "Vollendung" zur durchlaufen hat (ähnlich den sieben Siegeln beim "aufgeopferten Lamm").

Originaltext unterm Bild: „Abbildung 1: Christliche Ahnenlehre. Die mystische Abstammung von David, der das Urmonster der Zeit am Haken seiner Angel gefangen hat und das Kruzifix dabei als Köder benutzt. Die Kette der sieben Heiligenbilder repräsentieren unter anderem die sieben Planeten und die Sequenz ihrer transformierenden Einflüsse.“

Der Mensch definiert sich über das 3er- und 4er-Prinzip; drei = Geist/Gefühl/Seele (Dreifaltigkeit), vier = die vier Elemente aus denen der Körper besteht (Kreuz), also wieder die Zahl 7. Beides, Körper und Geist, müssen versöhnt und überwunden werden. Die sieben Töne der Universalsprache Musik verbinden beides, daher ist in ihr diese Versöhnung wahrnehmbar, wir erfahren inneren Frieden und Liebe.